Gunter Riedel ist seit 1997 Leiter der Unfallfluchtfahndung bei der Polizei in Nürnberg. Der Polizeihauptkommissar weiß worauf es ankommt, wenn sich ein Unfallverursacher aus dem Staub gemacht hat oder unwissentlich davon gefahren ist. Spurensicherung ist das A und O und dann muss man manchmal auch Glück haben, erzählt er. Rund 12.800 Verkehrsunfälle hat es im Stadtgebiet Nürnberg im vergangenen Jahr gegeben, bei fast 3.000 kam es zu einer Unfallflucht. Mit seinem 20-köpfigen Team hat Riedel eine gute Erfolgsquote: Jeder dritte Fall wird geklärt.
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Licht, Mikroskop und Datenbanken
Der schwarze Kombi hat an der hinteren Stoßstange einen Kratzer abbekommen, ca. 20 Zentimeter lang. Rote Lackreste sind deutlich an der Stoßstange zu erkennen. Polizeibeamter Tobias Ulrich kratzt diese feinsäuberlich mit einem Skalpell von der Stoßstange ab und sammelt sie in einer Plastiktüte. Hier an der Polizeiinspektion West in der Wallensteinstraße in Nürnberg steht ein Carport, das mit einigen Scheinwerfen ausgestattet ist, denn gutes Licht ist die Voraussetzung, um Spuren von Kratzern und Lackresten an Fahrzeugen sichern zu können.
Kleine Partikel geben schon Hinweise
Die Lackreste untersucht Gunter Riedel unter einem Mikroskop – der Lacksplitter ist nur wenige Millimeter groß, doch er reicht aus, um einiges feststellen zu können: Eine Uni-, keine Metalliclackierung, dreischichtig aufgebaut – wird wohl von einem älteren Fahrzeug stammen, sagt Gunter Riedel. Moderene Lacke seien in der Regel vierschichtig. Der Lacksplitter kann nun beim Landeskriminalamt (LKA) noch genauer untersuchen werden. Die Kollegen können genau festgestellt, um welchen Fahrzeugtyp es sich handelt, sagt Riedel.
Kleine Indizien geben wichtige Aufschlüsse
Eine weitere Methode zur Feststellung sind Reste von Fahrzeugteilen wie zum Beispiel Spiegelklappen, Scheinwerfer oder Schweller. Viele dieser Teile haben Seriennummern, mit denen lässt sich, über verschiedene Datenbanken, der Fahrzeugtyp erstellen.
Solche Indizien sind nicht nur bei sogenannten Bagatelleschäden wichtig, also wenn keine Personen zu schaden kommen, sondern auch bei größeren Fällen. Die Beamten der Polizei PI West halfen zum Beispiel maßgeblich bei der Aufklärung mit, als es darum ging, das Fahrzeug des Fahrers zu ermitteln, der einen 31-Jährigen Fußgänger bei einem illegalen Autorennen im Jahr 2022 in der Steinbühler Straße in Nürnberg totgefahren hatte. Auch hier halfen Lackreste und Fahrzeugteile dabei, den Audi A7 des Unfallverursachers zu ermitteln. Solche Fälle bleiben einem besonders im Gedächtnis, erzählt Gunter Riedel.
Strafen für Unfallflucht in der Diskussion
Wer sich unerlaubt von einem Unfallort bewegt, der begeht nach Paragraph 142 des Strafgesetzbuches eine Straftat. Je nach Schwere des Falls gibt es hohe Geldstrafen, den Entzug der Fahrerlaubnis und Punkte in Flensburg. Bis zu drei Jahre Haft sind möglich. Bis 50 Euro wird nicht ermittelt, doch die Grenze sei heute schnell erreicht, sagt Gunter Riedel und Schäden bei modernen, volllackierten Fahrzeugen gehen schnell in die Tausende.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will die Regelung in Zukunft ändern. Nur noch Fälle, bei denen Personen zu Schaden kommen, sollen dann als Straftat behandelt werden, die anderen als Ordnungswidrigkeit. So soll die Justiz entlastet werden, die sich mit Fällen von Unfallflucht (Fahrerflucht) beschäftigt.
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Pro und Contra Neuregelung der Unfallflucht vor Gericht
Ob das sinnvoll ist, darüber wurde in den vergangenen Monaten viel diskutiert. Hans Kudlich, Professor für Straf- und Prozessrecht an der Universität Universität Erlangen-Nürnberg, sieht den Vorschlag des Bundesjustizminister skeptisch. Man dürfe sich nicht zu große Entlastungseffekte für die Justiz dadurch erhoffen. Schon jetzt sei es möglich, dass die Staatsanwaltschaften bei weniger schwerwiegenden Fällen diese gegen die Zahlung von Strafen einstellen können, so Kudlich. Dennoch findet er den Vorschlag des Bundesjustizministers nicht ganz verkehrt, wenn es darum ginge, das Strafgesetzbuch zu reduzieren.
Der ADAC begrüßt den Vorschlag von Marco Buschmann ebenfalls. Kritiker bemängeln, dass gerade Personen ohne Vollkaskoversicherung in Zukunft Nachteile hätten. Ihre Befürchtung: Wird das Strafmaß abgemildert, steigt die Zahl der Vergehen und Menschen ohne den entsprechenden Versicherungsschutz bleiben auf den Kosten sitzen, die durch Unfallflucht entstanden sind.
Gründe für mehr Fälle: Größere Autos und mehr Verkehr
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Fälle von Unfallflucht im Stadtgebiet Nürnberg tendenziell gestiegen, sagt Gunter Riedel. Die steigende Zahl hängt damit zusammen, dass es insgesamt mehr Autos auf den Straßen gebe, so der Polizeihauptkommissar. Außerdem seien die Autos in ihrer Größe massiv gewachsen. Viele SUV hätten in den Parkhäusern schlichtweg nicht mehr ausreichend Platz, da seien Schäden durch Parkrempler schneller verursacht.
Einen weiteren Grund sieht er darin, dass viele Autos geleast seien. Die Leasingfirmen verlangten mittlerweile, dass jeder Schaden, der durch andere verursacht wurde, zur Anzeige gebracht wird und dann sei es auch die Rücksichtslosigkeit der Verkehrsteilnehmer, die die Zahl von Fahrerflucht-Fällen steigen lässt.
Zettel anbringen reicht nicht
Wer ein anderes Auto beschädigt hat, sollte sich dringend an einige Regeln halten. Nur einen Zettel mit den Kontaktdaten an die Windschutzscheibe anzubringen reicht nicht aus.
Zunächst muss man eine angemessene Zeit am Unfallort verweilen. Was als "angemessen" gilt, darüber gibt es immer wieder Diskussionen, sagt Hans Kudlich von der Universität-Erlangen Nürnberg. Gunter Riedel von der Polizei Nürnberg empfiehlt tagsüber im Stadtgebiet etwa 20 Minuten zu warten, wenn dann der Fahrer nicht auftaucht, kann ein Zettel am beschädigten Fahrzeug angebracht und weitergefahren werden. Wichtig ist, es muss dann schnellstmöglich die Polizei über den Unfall informiert werden, das kann auch telefonisch geschehen. Geschieht das nicht, gilt der Fall als Unfallflucht.
Geschieht der Unfall, also ein Parkrempler, zum Beispiel nachts um 3.00 Uhr in einer wenig befahrenen Straße, kann die Polizei auch früher verständigt werden, da nicht damit zu rechnen ist, dass in absehbarer Zeit der Fahrer oder Halter des Fahrzeugs auftaucht, so Gunter Riedel. In jedem Fall aber gelte: Wird der Fahrer des beschädigten Fahrzeugs nicht angetroffen, muss die Polizei informiert werden.
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