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Ein Phänomen unserer Zeit Raus aus der Einsamkeit

Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Dabei zeigen Wissenschaftliche Untersuchungen: Nicht nur alte Menschen, sondern Menschen in jedem Lebensalter haben wenige soziale Kontakte und fühlen sich oft einsam.

Stand: 27.11.2023

Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. | Bild: BR

Der Umzug in eine fremde Stadt, Trennung von einem Lebenspartner oder schwere Krankheit, auch Alleinsein im hohen Alter oder psychische Erkrankungen können Auslöser für das traurige Gefühl der Einsamkeit sein.

Gesellschaftlich oft nicht erkannt: Einsamkeit bei jungen Menschen

Verlässliche Zahlen über Einsamkeit gibt es erst ab dem jugendlichen und jungen Erwachsenenalter. Sie zeigen: Keine Altersgruppe fühlt sich so einsam wie die 18- bis 29-Jährigen. Studien gehen von etwa 3,6 Mio einsamer junger Erwachsener aus. Rafah Alwan ist durch die Corona-Zeit einsam geworden: Online-Unterricht, kein direkter Kontakt zu Freunden – irgendwann hat die 18-Jährige den Anschluss verloren, aus der Isolation wird eine Angststörung. Damit ist sie nicht alleine: Viele junge Menschen werden über die Einsamkeit krank, entwickeln Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Krankheiten. In der Gesellschaft fällt gerade Einsamkeit bei jungen Menschen wenig auf, man geht davon aus, dass sie ausreichend Gemeinschaft haben. Denn jene äußern ihre Isolationsgefühle selten, versuchen nach außen zu „performen“.

"Wir wollen keine Schwäche zeigen, wir wollen immer stark sein, auch so rüberkommen. Ich habe zwar immer gesagt, dass ich alleine sein will, aber in Wirklichkeit wollte ich das nicht. Ich wollte, dass jemand da für mich ist, sich meine Gedanken anhört, meine Traurigkeit."

Rafah Alwa

Münchner Seniorinnen und Senioren finden dank Streetworkern einen Weg aus aus der Einsamkeit

Rund acht Millionen Menschen ab 60 Jahren sind laut aktuellen Studien in Deutschland wenigstens einen Teil ihrer Zeit oder immer von Einsamkeit und Isolation betroffen. Der Tod des Partners, sinkende Mobilität, eine „Routine“ des Alleine-Lebens: Es gibt vielfältige Ursachen für die Einsamkeit. Oft reichen Angebote wie Seniorenzentren oder -Treffs nicht aus, wenn ältere Menschen entweder keine Kenntnis davon haben oder Ängste haben, sich unter zunächst fremde Menschen zu begeben.

Seit 2019 sind Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Landeshauptstadt München als Streetworker unterwegs – und sprechen auf öffentlichen Plätzen ältere Menschen an, die möglicherweise einsam oder hilfebedürftig sind. Ziel ist es, ihnen Unterstützung, Ansprache, aber auch ein Freizeitprogramm anzubieten. Das Projekt heißt SAVE und wird derzeit in neun Alten- und Servicezentren umgesetzt. Es ist so erfolgreich, dass es ausgeweitet werden soll.

Hilfe für Menschen mit Handicaps

Menschen mit Handicaps leiden oft besonders unter Isolation und Einsamkeit. Trotz Betreuung oder Hilfe fehlen die echten Beziehungen. Autisten haben besondere Probleme damit, soziale Beziehungen aufzubauen. Und deshalb erleben sie selten ein Gefühl von Gemeinschaft. In München hilft der „U-Bahn-Club“ des Autismusverbandes Oberbayern e.V.: Autistinnen und Autisten fahren gemeinsam U-Bahn, entdecken die unterirdische Welt in Bahnen und U-Bahnhöfen, gemeinsam, als Gruppe.

Raus aus der Einsamkeit! Das Mehrgenerationenhaus in Kaufbeuren

„Wir wollen offen sein für Menschen, egal woher sie kommen und wer sie sind“, sagt Angelika Lausser, bei ihr laufen im Generationenhaus Kaufbeuren die Fäden zusammen. „Die Großfamilie gibt es nicht mehr und wer hat schon heute noch Zeit, sich um den anderen zu kümmern? Viele wissen nicht wohin sie gehen sollen. Deshalb wollen wir so eine Art Wohnzimmer für alle sein.“

Täglich erlebt sie hier, dass Einsamkeit viele Facetten hat und Menschen leiden unabhängig von Alter und Geschlecht daran. Tatsächlich macht das Mehrgenerationenhaus seinem Namen alle Ehre: Junge Frauen aus Eritrea treffen hier auf alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, mitten unter ihnen sitzen Seniorinnen und Senioren beim Kaffeetrinken. Es ist ein Treffpunkt für alle, aber auch eine Anlaufstelle für praktische Hilfestellungen im Leben.

Als die 72-jährige Ursula Stoll aus Bad Wörishofen auf das Kaufbeurer Generationenhaus stieß, hatte sie anfangs Scheu zu bleiben. „Wenn Sie im Alter nur allein sind, verlernen Sie mit der Zeit, auf andere zuzugehen“, sagt sie. „Ich weiß, dass ich Menschen um mich herum brauche, deswegen bin ich immer auf der Suche.“

Im Generationenhaus wurde sie fündig, fand Gemeinschaft.
Nicht alle älteren Menschen haben wie sie den Mut, den Schritt in die Öffentlichkeit zu tun. Doch wer den Weg ins Generationenhaus gefunden hat, geht gerne wieder hin. Und findet so ein Stück heraus aus der Einsamkeit.

Beiträge:

  • Jung und einsam / Agnieszka Schneider
  • Streetworker gegen Einsamkeit bei älteren Menschen / Birgit Rätsch
  • Der Münchner U-Bahn-Club: Gemeinschaft für Autisten / Linda Hofmeier

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